Und dann kam Emil


Bericht einer Kaiserschnittgeburt

 

Ich hatte Paula und Lars, meine beiden Sternchen, die mich täglich forderten und täglich glücklich machten. Ein drittes Kind hatte ich nicht gewollt.
Ich hatte mir nicht vorstellen können, einen weiteren Kaiserschnitt zu haben. Ich bin dankbar für diese medizinische Möglichkeit, denn beim ersten Versuch war nach zehn Stunden erfolgreicher Eröffnungsphase plötzlich alles sehr kritisch. Ohne den Kaiserschnitt hätten Lars und ich es nicht geschafft.
Paula
s Geburt wurde auf Anraten der Ärzte ein geplanter Kaiserschnitt. Und diese zwei Geburtserlebnisse waren dann auch genug.
Dachte ich.

Bis nach der Trennung von Paulas und Lars´  Vater ein neuer Mensch in mein Leben trat: Simon. Und plötzlich war der Wunsch nach dem gemeinsamen Kind größer und die Zuversicht Schwangerschaft, Geburt und alles was danach kommt nicht allein schultern zu müssen stärker als die Angst vor der Geburt.
Und diesmal war es tatsächlich anders. Viel bewusster und selbstbestimmter bereitete ich mich auf Kaiserschnitt Nummer drei vor. Ich fand einen Arzt, der die Vorsorge und dann auch den Kaiserschnitt machen würde. Seine Frau ist Hebamme und begleitete mich ebenfalls schon in der Schwangerschaft und auch später im Wochenbett. Diesmal (7 Jahre nach der letzten Geburt) gab es sogar die Möglichkeit des Bondings im OP. Außerdem entschieden wir im Vorfeld, dass auch eine Sterilisation durchgeführt werden sollte. Es war also klar, dies ist für mich die letzte Geburt.

Auch die Besetzung im Kreissaal war anders: Hebammen, die ich kannte; Simon, dessen bedingungslose Liebe und unbändige Freude über Emils Ankunft mir Mut machte; Danny, meine liebe Freundin aus Kindertagen, die mir durch ihre Anwesenheit zusätzliche Stütze war und die dafür sorgen sollte, dass Verblassen und Vergessen diesmal keine Chance haben.

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Trotz aller Vorbereitungen blieb die Angst.

Angst, dass die Narkose nicht richtig sitzt. Angst vor der Sterilität, der Kälte und dem grellen Licht im OP. Angst vor den Geräuschen: dem regelmäßigen Pumpen der Blutdruckmanschette, dem leisen und entfernten Piepen der Überwachungsgeräte, dem Surren der Klimaanlage, dem Klirren des OP-Bestecks, dem entfernten Gemurmel der Ärzte hinter dem grünen Tuch. Angst vor der Distanz zu den anwesenden Menschen, die durch OP-Kostüm und Mundschutz so fremd und unnahbar scheinen. Angst vor dem Unvermögen mich bewegen zu können — der Unterleib taub, die Arme festgebunden und mit Kabeln und Schläuchen versehen. Angst vor den endlosen Minuten der Wundversorgung — ohne Baby, ohne Simon. Und doch war diese deutliche Angst vor der Geburt begleitet von der unbändigen Vorfreude auf das kleine Wunder, das in mir wachsen konnte und unser Leben durcheinander bringen wird.
Wenn ich die Bilder sehe, dann sehe ich es alles: meine Angst, Simons Besorgtheit, seine Neugier, meine Vorfreude und die tiefe Liebe zwischen uns.

Und dann trennen sie uns. Im Bett liegend schieben sie mich durch die Labyrinthe des Krankenhauses in Richtung der OPs. Als ob ich nicht laufen könnte. In der Schleuse dann die erste positive Überraschung: Anstelle fremder Hände, die mich auf die OP-Liege schieben, begrüßen mich zwei Menschen. Gut gelaunt zeigen sie mir ihre Gesichter, stellen sich vor und lassen mich spüren, dass sie sich freuen, Emils Geburt zu begleiten. Ich darf sogar selbst hinüber auf die Liege klettern. Dann die mir vertraute Stimme meines Arztes: er erklärt mir nochmal alles und versichert mir, dass wir eine sehr nette und erfahrene Anästhesistin an unserer Seite haben. Und das ist sie. Während im OP alles gerichtet wird, schafft sie es, mich zu beruhigen. Sie hält meine Hand, sie fragt mich nach Lara und Paul, nach dem Namen für den neuen Menschen. Sie erklärt jeden einzelnen Schritt. Diesmal passiert es mir nicht einfach. Diesmal erlebe und erfahre ich.

 

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Beim Setzen der Spinalanästhesie sackt mir der Blutdruck ab. Mir ist schwindelig und ich stelle mir vor, wie es wäre einfach zu schlafen. Doch da sind Menschen, die mich auffangen und stabilisieren — meinen Kreislauf und mein Gemüt. Nur kalt ist mir. Kühle Wellen laufen die Beine hinab, und dann sind sie taub. Jetzt darf Simon zu mir. Er sitzt rechts von meinem Kopf. Seine starke Rechte Hand greift meine festgebundene und hält mich. Seine linke liegt an meinem Kopf. Die Haube und der Mundschutz, der ein wenig verrutscht ist, lassen mich nur seine Augen sehen. Aber das genügt, denn sie sagen alles ohne Worte. Er schaut mir in die Augen und hält meinen Blick fest, während ich spüre, dass es los geht. Es wird kalt und heiß und nass – oder auch nichts davon. An mir wird gerüttelt, geschoben und gezogen. Simons Griff wird fester, aber sein Blick bleibt stark und gibt mir das Gefühl, dass alles gut ist, weil wir da zusammen sind um Emil ins Leben zu begleiten. Und da ist er.


„Neun Uhr Siebzehn. Herzlich Willkommen Emil.

Ach, und das Pinkeln funktioniert auch schon.“

Und dann brüllt Emil sein noch zögerliches Hallo. Zwei erste Tränen kullern aus Simons Augen, dann flüstert jemand „herzlichen Glückwunsch“, und legt mir das nackte Baby auf meine nackte Brust. Emil wird sofort ruhig, als würde er lauschen und spüren. Ich kann ihn nicht halten, das müssen ein Tuch und Simons Hand für mich übernehmen. Aber ich spüre sein Herz schlagen. Sein Körper ist warm und feucht, der kleine Mund schnauft nach Luft. Die Augen wollen noch nicht aufgehen. Die ganz leichten Bewegungen wirken unkoordiniert und zerbrechlich. Ein paar dunkle kurze Haare kleben an dem kleinen runden Köpfchen. Es duftet nach Geburt. Und dann sind da nur noch wir drei und das überwältigende, unbeschreibliche Gefühl, dass nur das Wunder eines neuen Lebens auslösen kann.

Ich weiß nicht, wie lang oder kurz dieser Moment war. Wie durch Watte höre ich einen Knall – das war der Strom, der die Eileiter unpassierbar macht. Dann kommt langsam die Realität wieder an mich ran. Ich spüre, wie an meinem Unterleib gearbeitet wird. Die Kälte kriecht in meinen Körper zurück. Simons Gesicht ist Tränenüberströmt. Er sieht so glücklich aus, teilt seinen Blick jetzt zwischen mir und Emil auf. Und dann müssen die beiden Jungs gehen. Für Emil ist es im OP zu kalt. Ich bleibe zurück. Aber diesmal ist auch das anders. Die Zeit allein vergeht im Flug. Schon werde ich umgebettet. Jetzt kann ich nicht alleine klettern, aber ich bin froh, dass mir diese netten Menschen nicht fremd vorkommen. Die Fahrt durch das Labyrinth ist kürzer jetzt und dann bin ich zurück im heimeligen Kreißsaal. Jetzt habe ich die Hände frei um das kleine Wunder zu halten, zu betasten und zu begreifen.
Jetzt haben wir drei die Zeit, die wir brauchen um in unserem neuen Leben anzukommen.

Bei den ersten beiden Geburten hat mich stark belastet, dass ich die ersten Minuten nicht bei meinen Kindern sein konnte. Diese Geburt war heilsam: Bonding im OP und Bilder, die meine „Erlebnislücke“ dokumentieren.
Auch Erinnerungslücken haben diesmal dank Dannys Fotos keine Chance. Immer wieder schauen wir die Slideshow an. Paula und Lars staunen jedes Mal über ihre eigenen Gesichter. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich sehe mit wie viel Liebe dieser kleine Mann in unsere außergewöhnliche Patchworkfamilie aufgenommen wurde.

 
 
 
 
 
 
 

An dieser Stelle möchte ich nochmal meine tiefe Dankbarkeit deutlich machen: Danke an meinen Arzt und meine Hebammen für Eure Begleitung. Danke an all die lieben Menschen im Diakoniekrankenhaus, die bei der Geburt dabei waren – ich werde euch und die angenehme Atmosphäre, die ihr geschaffen habt, nicht vergessen. Danke an Simon — du hast mir das schließlich eingebrockt.

 

Das war der Geburtsbericht. Aber unsere Geschichte endet hier nicht. Und auch nicht die besondere Bedeutung der Fotos.

 

Emil braucht lange, um sich an das Leben draußen zu gewöhnen. Die ersten Stunden jammert er bei jedem Atemzug. Das Stillen fällt uns beiden schwer. Trotz fachkundigem Rat hören die Schmerzen nicht auf. Ein Tag-Nacht-Rhythmus will sich nicht einstellen. Emil schreit viel und hat große Schwierigkeiten mit der Verdauung. Wir tun was uns möglich ist, um ihn zu unterstützen. Aber es strengt mich zu sehr an.

Ich bin erschöpft, kraftlos, ausgelaugt. Alle sagen, „Klar, du schläfst ja wenig“, oder „Ja, das sind die Hormone, das wird besser.“ Aber es wird nicht besser. Es wird schlimmer. Emil und ich — das fühlt sich nicht richtig an. Es fühlt sich nicht an. Ich kann ihn nicht lesen. Ich versorge ihn „stillen, wickeln, tragen, singen, massieren, stillen, wickeln,…“ ich weiß ja wie das geht. Ich bemühe mich um viel Körperkontakt, aber es fühlt sich nicht an. Sein Schreien verursacht enormen Stress in mir. Die Vorstellung ein paar Stunden mit ihm allein zu sein, jagt mir unglaubliche Angst ein. Ich habe Panik davor, einzuschlafen, Angst, gleich wieder aufstehen zu müssen. Schon die Vorstellung einen Einkauf mit Baby zu bewältigen überfordert mich. Ich habe das Gefühl als Mutter völlig zu versagen. Nichts will gelingen. Ich schaffe es nicht mit Emil und schon gar nicht schaffe ich es allen drei gerecht zu werden. Und Simon – er versucht alles richtig zu machen und ich gebe ihm das Gefühl, es ist immer falsch. Weil es eben bei mir nicht richtig ankommt. Nichts kann man mir recht machen. Ich reagiere völlig überzogen, kann meine Emotionen kaum regulieren, heule ständig. Ich sehne mich nach friedlicher Ruhe. Nach Alleinsein. Nach Schlaf. Nach Stille. Die Welt um mich herum fühlt sich irgendwie verschoben an. Irgendwie verrückt. Und dabei wollte ich doch glücklich sein. So viel Liebe um mich herum, so viel Gutes, aber mir geht es schlecht. Dann kam dieser Tag, an dem der Gedanke daran tot zu sein mir weniger Angst machte als der Gedanke an den nächsten Tag. Und da wusste ich, dass ich dringend professionelle Hilfe brauche.

Emil ist heute auf den Tag genau zehn Monate alt. Ich nehme Medikamente und mache Therapie. Ich bin stabil. Das mit Emil und mir fühlt sich jetzt an. Und zwar richtig gut. Ich arbeite wieder und Simon ist bei Emil. In zwei Wochen bekommen wir Verstärkung durch ein AuPair. Manchmal gibt es noch „Regentage“ oder auch mal heftige, aber kurze „Gewitterstürme“. Aber wir können immer besser damit umgehen und aussteigen.

Es war ein anstrengender Weg bis hierher. Ohne Simon, die Begleitung durch Ärzte, Therapeut, ProFamilia und meine lieben Freundinnen wäre der Weg sicher noch länger und beschwerlicher gewesen. Die Geburtsfotos, die Slideshow mit der Musik, haben mir an manchen dunklen Tagen geholfen. Sie haben mir bewiesen, dass die schönen und guten Momente immer da waren, auch wenn mein Kopf in Dauerschleife Negativgedanken abspulte. Sie zeigen die Liebe zwischen den Menschen unserer Familie, auch wenn mein Gefühl dafür betäubt war. Danny macht keine Fotos. Danny fängt Momente ein. Sie schafft es sogar, Gefühle und Stimmungen in Bildern sichtbar zu machen. Sie dokumentiert Geschehnisse und Erinnerungen. Während Paula und Lars nur Erzählungen von ihrem ersten Tag kennen, wird Emil auch die Fotos dazu sehen können. A picture‘s worth a thousand words. My way to say I love you over and over.

Ich hatte Lars und Paula, meine beiden Sternchen, die mich täglich forderten und täglich glücklich machten. Und diese zwei waren dann auch genug. Dachte ich. Und dann kam Emil. Jetzt habe ich drei Sternchen, die mich täglich fordern und täglich glücklich machen. Und ich habe den großen Lieblingsmenschen, der das mit mir l(i)ebt. Ganz egal wie anstrengend der Weg noch sein wird, wir gehen ihn zu fünft.

Fotos Geburtsfotografie, Hand eines Neugeborenen und seines Vaters

 

 

Danke

…für diesen wunderbaren Geburtsbericht! Nicht nur beschreibt Emils Mama sehr eindringlich ihre Erfahrungen und Ängste hinsichtlich der erlebten Kaiserschnittgeburten – sie spricht auch offen darüber, wie sich eine postpartale Depression anfühlen und bemerkbar machen kann.

Ganz lieben Dank für Deinen Mut, die Offenheit und das Vertrauen, das ihr mir geschenkt habt!

 


 

 

 

Die Geburt von Miriam


„Miriams Geburt war für uns so besonders, weil ich schon Ende vierzig bin und mein Mann Mitte fünfzig.
Unsere „Großen“ sind 9 und 14 Jahre alt und Miriam kündigte sich an, als die Hoffnung auf so ein Geschenk
schon zu schwinden drohte. Es war also klar, dass der Zauber des Anfangs begleitet sein würde mit einem Abschied,
mit dem Wissen, dass sich all unsere Erlebnisse nun nicht mehr wiederholen würden. Deshalb war es mir so wichtig,
auch die Geschwister in der Nähe zu haben, damit die vielen offenen Arme sie gleich empfangen konnten.

Ich durfte nur per Kaiserschnitt entbinden, weshalb ich zunächst etwas traurig war, denn ich hätte dieses letzte Mal gerne eine Operation vermieden…“

 

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