Die Geburt von Noah


Eine Geburt die zu Hause begann & zu Hause endete.

 
 

Ich wollte niemals einen Geburtsbericht schreiben.
Wirklich nicht.

Ich lese auch nicht gerne Geburtsberichte von anderen, weil ich das so persönlich und intim finde, dass ich immer das Gefühl habe, es ist eigentlich gar nicht für meine Augen bestimmt. Aber Noahs Geburt war auf so vielen Ebenen so besonders, so emotional und ein so großer Schritt auf dem Weg zu mir selbst, dass ich an dieser Stelle meine Überzeugung über Bord schmeißen und fremden Augen und Ohren davon erzählen möchte.
Denn es geht nicht nur um die Geburt meines 3. Kindes, sondern auch um Wünsche, Selbstreflexion, Erwartungen, Entscheidungen und natürlich ganz viel Liebe.

Ich wusste in dem Moment, als ich den positiven Test in der Hand hielt, dass mein drittes Kind zu Hause kommen soll.
Nach einer übergriffigen Geburt im Krankenhaus vor zwölf und einer wundervoll sanften und selbstbestimmten Geburt im Geburtshaus vor drei Jahren, war unser Zuhause für mich „die nächste Stufe“ – der einzig in Frage kommende Geburtsort.
Da wir bereits 9 Tage nach dem Eisprung von unserem Wunder wussten, konnte ich mich sehr rechtzeitig auf die Suche nach einer Hebamme machen die Hausgeburten begleitet und bin bei der Praxis für Hausgeburtshilfe in Hamburg angekommen. Drei wunderbare, liebevolle und kompetente Hebammen, die mich und uns ab der 5.SSW bis zur Geburt begleitet haben. Ein tolles Gefühl!
Hier und da gab es Kritik und Unverständnis, wie man denn bitte so fahrlässig sein und nicht zur Geburt ins Krankenhaus gehen kann… Warum ich diesem bescheuerten Trend denn unbedingt folgen muss… Und überhaupt: ‚Stell dir mal vor, da passiert was! Das wirst du dir nie verzeihen!‘

Nach 40 Wochen und 1 Tag:
Neben mir liegt zufrieden schlafend ein gesundes und perfektes kleines Menschenkind, das eine wilde Reise hinter sich hat und durch dessen Geburt auch ich als Mutter ein kleines bisschen neu geboren wurde…

 
 
 

Am 07.03.2020, pünktlich zum ET, hat uns um 22Uhr ein Blasensprung in aufgeregte Betriebsamkeit versetzt. Nach einem kurzen Gedankenmix aus „Yeah!- Nein!-Endlich!- Ich bin noch nicht bereit!- Oh,Oh…-Schaaaaatz!“ habe ich erstmal ganz ruhig und abgeklärt unsere Hebamme informiert und dann meine Mutter, Schwestern, Freundinnen und Geburtsfotografin aufgescheucht und allen gesagt, es ginge nun endlich los.
Danach haben mein Mann und ich das Wohnzimmer für die Geburt vorbereitet, ich hab kurz geheult und danach passierte erstmal nichts.

So richtig gar nichts.
17 lange Stunden.


Ich bin nachts um halb zwei frustriert ins Bett gegangen und am nächsten Morgen um acht genau so frustriert wach geworden. Sechs Wehen hatte ich in all der Zeit. Damit lockt man kein Baby auf die Welt.
Kurze Mitteilung an alle Wartenden: „Es dauert noch.“
Ich hab getanzt, war zwei mal sehr warm duschen, war spazieren, habe ein Dampfbad gemacht – nichts.


Um 15Uhr kam die Hebamme vorbei um mal nach uns zu schauen. Mir ging es gut, die Herztöne im Bauch waren bestens.
Da ich nur innerhalb von 24 Stunden nach einem Blasensprung zu Hause gebären drufte und fast 18 Stunden bereits um waren, ohne dass es nach baldiger Geburt aussah, gab es ein Rizinusöl-Rührei für mich um ein bisschen Schwung in meine Gebärmutter zu bringen.
Meine Hebamme sagte, ich solle von dem Öl nicht zu viel erwarten und einfach versuchen entspannt zu bleiben, dann würde das schon irgendwann losgehen.
Eine Stunde später tat sich was. Nicht viel, aber ein bisschen. Es war alles gut und ruhig und weil für den Moment niemand irgendwas hätte tun können, verabschiedete sich meine Hebamme erstmal wieder und sagte uns, wir sollen anrufen, wenn es ernst wird und wir sie brauchen.
Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, wurde es unruhig in meinem Bauch. Die Wehen wurden schlagartig doller und hielten deutlich länger an.
Kurz hintereinander kamen meine Nichte, die ich mir als zusätzliche Unterstützung zur Geburt gewünscht hatte und unsere Fotografin bei uns zu Hause an und ich dachte:
„Super. Alle da, jetzt können wir loslegen!“

 

…aber irgendwas war nicht okay. Ich hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, wusste aber nicht was es war.


Die Wehen wurden stärker und zogen sich immer mehr in die Länge. „Kein Problem! Das ist eben so und ich schaffe das!“ war mein Mantra, denn ich hatte ja bereits zwei Kinder problemlos, schnell und ohne viel Theater auf die Welt gebracht.
Es wurde mit jeder Wehe anstrengender und ich ertappte mich dabei, wie ich mir Gedanken über die Menschen in meiner Umgebung machte: „Wie wird mein Mann das wohl alles erleben? Geht es ihm gut? Hat er alles, was er braucht? – Hoffentlich fühlt meine Nichte sich ausreichend eingebunden, sie soll nicht das Gefühl haben, nutzlos hier zu sitzen! – Ob sich die Nachbarn wohl von dem Trubel bei uns wohl gestört fühlen?“
Ich schob die Gedanken beiseite und verkroch mich für viele lange Minuten mit meinem Mann im Bad. Mein Körper war verkrampft, ich konnte nicht richtig atmen und den Wehenschmerz aushalten. Als ich einen schmerzhaften und mich zerreißenden Wehebsturm hinter mir hatte bat ich meinen Mann leise und verschwitzt darum, meine Hebamme anzurufen und sie schnellstmöglich zu uns zu bitten.

 
 
 
 

Als sie zur Tür rein kam fühlte ich eine wahnsinnige Erleichterung und Sicherheit.
Zwei lange und schmerzhafte Wehen haben wir zusammen veratmet, dann bat sie mich darum einmal untersuchen und Herztöne hören zu dürfen und ab dem Zeitpunkt ist die Erinnerung irgendwie verschwommen.
Ich hörte sie sagen „Du bleibst kurz hier sitzen, ich rufe jetzt einen Krankenwagen.“ Fetzen eines Telefonats „Pathologische Herztöne-Mit Blaulicht-Hebamme ist vor Ort“

und dann ging alles ganz schnell…

 
 
 
 

 

Innerhalb von ein paar Minuten stand der Rettungswagen vor unserer Tür. Auf dem Weg dorthin überkam mich der Drang zu pressen. Schlechter Zeitpunkt, denn der Muttermund war noch nicht ganz auf.
Die eine Hälfte meines Gehirns machte sich schreckliche Sorgen um unseren Sohn, während die andere Hälfte mit Frustration beschäftigt war. „Ich habe versagt! – Mein Körper hat mich hängen lassen! – Weil ich nicht in der Lage bin anständig zu gebären, kommt mein Kind jetzt im Krankenhaus zur Welt!“

Sorge, Wut, Trauer, Enttäuschung- all das machte sich in mir breit.
Die Tür ging zu, wir fuhren los und all diese negativen Gefühle brachen schreiend aus mir heraus. Der ganze Frust und die angestaute Energie aus den Stunden davor machte sich Luft und ich fühlte mich das erste mal seit Beginn der Geburt richtig frei.

 

 

Meine Hebamme untersuchte noch einmal und der Muttermund war endlich auf.

Es dauerte zwei lange Wehen und unser Sohn war geboren. Auf der Liege im Rettungswagen, zwei Straßen von unserer Wohnung entfernt.

Ich bekam ihn direkt auf die Brust und während mein Mann (der sofort nach hinten zu uns gestürmt kam) mich auf die Stirn küsste und ich noch dabei war nach Luft zu ringen fragte ich Hebamme und Rettungsassistentin

„Müssen wir jetzt noch ins Krankenhaus, oder können wir wieder nach Hause?“

Wir durften wieder nach Hause und das verdanken wir der Coolness der Rettungskräfte, denn eigentlich hätten sie uns ins Krankenhaus bringen müssen (an dieser Stelle ein riesengroßes Dankeschön!).
Da lagen wir also. Unser Baby und ich. Eingepackt in Silberfolie und Tücher, mein eines Bein noch in der Hose und der Fuß noch in meinem Hausschuh. Alles war total surreal und fühlte sich schräg an. Und dennoch war ich glücklich. Fast schon gemütlich fuhren wir mit dem Rettungswagen wieder auf den Parkplatz vor unserem Haus.

Keine 15 Minuten, nachdem wir von dort mit Blaulicht in Richtung Krankenhaus losgefahren waren.

 

 

 
 

Instagram Geburt Rettungswagen Hamburg

 
 
 
 
 

 

 

Unser Wunder ist nun fast drei Wochen alt und nachdem ich viel Zeit hatte um alles zu verarbeiten und zu reflektieren, sind mir zwei wichtige Dinge (wieder) bewusst geworden:
1. Eine Geburt ist ein wahnsinnig großes und aufregendes Ereignis, aber kein Mega-Event für Schaulustige.
2. Eine Frau, die ein Kind gebärt benötigt Schutz. Viel Schutz. Einen geschützten Raum, in dem sie sensibel sein darf. Menschen, die ihr die Sicherheit vermitteln gut unterstützt und behütet zu sein.

Nichts sollte sich in den Stunden der Geburt unangemhem oder unangemessen anfühlen.

Es muss alles erlaubt sein, vom lauten „Scheiße!“ fluchen zu anderen lauten Geräuschen und merkwürdigen Körperbewegungen.
Ich habe mir meinen geschützten Raum leider durch im Vorfeld getroffene Entscheidungen selbst genommen. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, wie es den Menschen um mich herum geht (meine Hebamme sollte nicht zu viel Arbeit haben, meinen Mann wollte ich nicht überfordern, die Nachbarn nicht stören und meine Nichte sollte sich ausreichend gebraucht fühlen) und habe dadurch den Kontakt zu meinem Körper und meinem Baby verloren und das hat uns beide in eine Stresssituation gebracht.

 
 

Die „Verlegung“ in den RTW war am Ende unsere Rettung. Ich hätte zwar nie damit gerechnet, dass mein Baby in einem grell ausgeleuchteten Kasten zur Welt kommt, aber meine Hebamme hat mir mit diesen paar Quadratmetern den Schutzraum geschaffen, den ich so dringend brauchte und der unser Zuhause eigentlich hätte sein sollen.
Ich empfinde so viel Liebe und Dankbarkeit, wenn ich an den 08.März 2020 denke, denn es war trotz einiger Turbulenzen eine wunderschöne und einzigartige Geburt an der ich gewachsen bin

und die mich gelehrt hat, dass das was wir wollen nicht immer zwangläufig das ist, was wir tatsächlich brauchen.

 
 
 
 
 
 

Ein Nachtrag oder: ‚Wenn Wünsche wahr werden‘

„Ihr hattet eine Fotografin mit zur Geburt? Hat das nicht voll gestört?“
Ja, hatten wir. Nein, hat es nicht.

Aber fangen wir von vorne an:
Als ich Ende 2016 mit Sohn Nummer zwei schwanger war bin ich -ich weiß leider nicht mehr wie es dazu kam – über Dannys Seite gestolpert und ich wollte auch so tolle Fotos von mir und meinem Baby haben.
Ich kontaktierte sie per Mail und wir schrieben ein wenig hin und her. Leider war für mich ziemlich schnell klar, dass ich mir ihre Arbeit trotz eines sehr entgegenkommenden Angebotes nicht leisten kann. Ich war zu dem Zeitpunkt noch in der Ausbildung und musste bereits 700,-€ für die Rufbereitschaftt meiner damaligen Hebamme zusammensparen.
„Beim nächsten Kind!“ sagte ich mir und schob den Wunsch zur Seite.
Das nächste Kind folgte drei Jahre später.
Die Schwangerschaft war ziemlich Stressbeladen und anstrengend und ich habe ehrlich gesagt nicht einmal an Danny und ihre Fotos gedacht…

Am Tag vor Noahs Geburt war ich zur Vorsorge bei meiner Hebamme und sie fragte mich „Kennst du Danny Merz?“ und dann hat es sich irgendwie verselbständigt. Ich bekam ihre Nummer, wir besprachen am Telefon die wichtigsten Dinge und am nächsten Tag ging es auch schon los.
Unser persönliches Kennenlernen war kurzer Smalltalk auf unserem Flur zwischen zwei Wehen.
Vor mir stand freundlich lächelnd eine wahnsinnig sympathisch wirkende junge Frau, die ähnlich gespannt und aufgeregt zu sein schien wie ich.
Das leise Klicken ihrer Kamera habe ich ganz schnell schon nicht mehr gehört und obwohl Danny die ganze Zeit in meiner Nähe war, habe ich sie kaum mitbekommen. Sie war da ohne, dass es sich aufdringlich angefühlt hat, zurückhaltend und trotzdem irgendwie mittendrin.
Sie war die Einzige, um die ich mir die ganze Zeit keine besorgten Gedanken gemacht habe und obwohl sie im Grunde eine fremde Person war, hat mich ihre Anwesenheit am wenigsten verunsichert.

Gestern habe ich den Link zu unserer Fotogalerie bekommen und was soll ich sagen?!
Beim Durchschauen der Bilder hatte ich Schmetterlinge im Bauch und die eine oder andere Träne im Auge. Danny hat mit ihrer Arbeit Emotionen festgehalten und viele wundervolle Erinnerungen an Noahs Geburt geschaffen für die ich unglaublich dankbar bin!
Alles was ich nur immer wieder dazu sagen kann ist: Danke ♡